Der Bundestag |
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Der Parlament ist in einem parlamentarisch-repräsentativen Regierungssystem die zentrale Institution, in der sich Legitimation durch das Volk und Ausübung der staatlichen Funktionen bündeln. Dabei hängt es jeweils sehr stark von der politischen Kultur des Landes ab, wie die Funktionen des Parlaments im einzelnen ausgestaltet sind - in den USA definiert sich das Repräsentantenhaus fast ausschließlich als Arbeitsparlament, in Großbritannien das Unterhaus als Bühne für das Theater der teilweise sehr kontroversen Debatte zwischen Regierung und Opposition. In der Bundesrepublik nennt sich das Parlament Bundestag und seine funktionale, politische und rechtliche Struktur soll hier grob dargestellt werden (wobei das "grob" keinesfalls den Ton, in dem das Thema behandelt wird, bezeichnen soll). |
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I. Die Funktionen des Bundestages Sie lassen sich in etwa in folgende Bereiche einteilen :
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1. Die Artikulationsfunktion (auch: Repräsentationsfunktion) Im Bundestag sollen die in der Bevölkerung vorhandenen politischen Auffassungen Ausdruck finden. Da in einem modernen Massenstaat wie der Bundesrepublid Deutschland eine direkte dauerhafte Beteiligung aller Bürger nicht denkbar ist, müssen die Ziele und Interessen der Bevölkerung in einem kleineren Gremium, dem Parlament, repräsentiert und von ihm artikuliert werden. Dies geschieht durch Wahlen, in der die Zusammensetzung des Parlaments von der Bevölkerung beeinflußt werden kann. |
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In der Praxis ist diese Auswahlmöglichkeit durch die geringe Zahl der Parteien, die letztlich im Bundestag vertreten sind, sehr beschränkt, was oftmals teilweise zu Recht zu Kritik am Parlamentarismus führt. Andererseits muß man natürlich auch feststellen, daß das Volk selbst in bestimmte Interessengruppen eingeteilt werden kann, die einzelnen Bundestagsfraktionen somit diese aus sozialen oder politischen Gründen entstandene Zersplitterung auch widerspiegeln. Bestes Beispiel hierfür ist die Partei der GRÜNEN, die sich aufgrund eines politischen Themas, bei dem sich ein Teil der Bevölkerung nicht durch die anderen Parteien repräsentiert sah, als ständiges Mitglied in den verschiedenen Parlamenten auf Bundes- und Landesebene etablieren konnte. Die eigentliche Störung der Artikulation der Bevölkerungsinteressen bezieht sich deshalb auch immer weniger auf politische Streitfragen. Eine weitaus größere Gefährdung einer akzeptablen Repräsentation könnte sich aus der beruflichen und damit auch sozialen Herkunft der Bundestagsmitglieder ergeben. Denn mit dieser verschiebt sich der Bundestag immer stärker in Richtung eines "Beamtenparlaments", in dem beinahe jeder zweite Abgeordnete aus dem Öffentlichen Dienst oder einer diesem nahestehenden Organisation kommt. Arbeiter hingegen sind seit einiger Zeit nur etwa 2% der Bundestagsabgeordneten - ein krasser Gegensatz zur Realität. Inwieweit dieser jedoch die Artikulationsfunktion des Bundestages entscheidend einschränken kann, ist fraglich. Denn die Parlamentsentscheidungen werden ja stets mit Blick auf die Bevölkerung und somit auch auf die einzelnen Interessengruppen getroffen, damit die jeweiligen Entscheidungsträger im Parlament der Unterstützung der Bevölkerung bei den nächsten Wahlen nicht verlustig gehen. |
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2. Die Wahlfunktion Eine sehr wichtige Funktion des Bundestages ist die Wahlfunktion. Im Gegensatz zur Weimarer Republik, in der auch der Reichspräsident zahlreiche wichtige Optionen zur Beeinflussung der Besetzung von politischen Ämtern hatte, werden fast alle bedeutenden Staatsfunktionen in der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundestag besetzt. Die wichtigsten Wahlfunktionen nimmt der Bundestag in folgenden Zusammenhängen wahr:
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Nicht alle dieser Wahlfunktionen nimmt der Bundestag direkt vor. So werden die Bundesverfassungsrichter durch den "Wahlmännerausschuß" gewählt, ein kleineres Gremium, in dem Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen im Verhältnis der Fraktionsstärken sitzen. |
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Die wohl wichtigste Wahlfunktion ist die Wahl des Bundeskanzlers, des Regierungsoberhauptes, der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist. Diese Funktion übt der Bundestag in bis zu drei Wahlgängen aus. Im ersten entscheidet das Parlament über einen vom Bundespräsidenten vorgeschlagenen Bewerber, meist den Kandidaten der stärksten Bundestagsfraktion, bzw. einer regierungswilligen Fraktionenkoalition. Stimmt die Mehrzahl der Mitglieder des Bundestages für diesen vorgeschlagenen Kandidaten, muß der Bundespräsident ihn ernennen. Kann der Bewerber keine Mehrheit für sich verbuchen, so sind nun auch Vorschläge aus der "Mitte des Bundestages" möglich. Erhält ein Kandidat die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages, muß der Bundespräsident diesen ernennen. Konnte immer noch kein Kanzler gefunden werden, so wird in einem dritten Wahlgang derjenige gewählt, der die meisten Stimmen erhält. Entspricht die Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen der Anzahl der Mehrheit der Bundestagsmitglieder, muß der Präsident ihn zum Kanzler ernennen. Erreicht der Kandidat jedoch nur die relative Mehrheit, hat der Bundespräsident ein Wahlrecht zwischen Ernennung des Bewerbers und Auflösung des Bundestages für Neuwahlen, die dann klarere Verhältnisse schaffen sollen. In der Realität ist bis dato jedoch immer im ersten Wahlgang ein Kanzler gefunden worden. Dies geschah mitunter recht knapp - so schaffte es Adenauer 1949 mit genau der benötigten Anzahl, Brandt erhielt 1969 zwei Stimmen mehr als benötigt, Schmidt 1976 gar nur eine und Kohl zitterte sich 1987 mit vier, 1994 gar auch nur mit einer Stimme mehr als notwendig in den Kanzlersessel. Dabei kann es duchaus auch bei eigentlich deutlichem Vorsprung der Regierungskoalition vor der Opposition knapp werden: 1961 hatte Adenauer 46 Stimmen weniger als man der Fraktionskonstellation nach erwarten durfte und Ende der 60er fehlten Kiesinger gar 104 Stimmen aus den Reihen der Regierungsparteien. |
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3. Die Kontrollfunktion Diese Funktion resultierte aus der historischen Entwicklung des Parlaments, dessen wichtigste Funktion früher oftmals die - zumeist sehr beschränkte - Kontrollfunktion gegenüber nicht gewählten Regierungen war. Dies hat sich ziemlich drastisch gewandelt, seitdem die Regierungen von der Mehrheit des Bundestages bestimmt und getragen werden. Seitdem herrscht ein neuer Dualismus - nicht mehr zwischen Parlament und Regierung sondern zwischen der Regierung zusammen mit der Parlamentsmehrheit und der Opposition. Letztere ist deshalb auch zunehmend die kontrollierende Instanz im Parlament geworden, wobei auch diese Kontrollfunktion eingeschränkt wird. Zum einen besteht für die Opposition durch Kooperation die Möglichkeit der zumindest partiellen Realisierung eigener politischer Vorstellungen. Zum anderen wird eine ständig abwehrende und Regierungs- und Parlamentsarbeit bremsende Opposition in der Bevölkerung auch nicht gerne gesehen. Somit hat sich die Kontrollfunktion im Bundestag sehr verändert - hin zu einer Kontrolle durch Mitarbeit. Aber natürlich bestehen auch weiterhin Aufgaben und Instrumentarien des Bundestages zur klassischen Kontrolle der Regierung. Diese vollzieht sich vor allem auf folgenden Gebieten:
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Dazu hat der Bundestag - in der Realität in der überwiegenden Zahl der Fälle wahrgenommen durch die Opposition - folgende Rechte:
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a) Das Zitier- und Interpellationsrecht (nach Art. 43 I GG) Hierunter fallen direkte Kontakte zwischen Regierung und Bundestag. So kann letztere jederzeit nicht nur die Anwesenheit eines Regierungsmitglieds fordern, sondern hat auch ein Recht darauf, daß dieser Minister ihm Rede und Antwort steht. Neben diesem Zitierrecht besteht das ihm verwandte Interpellationsrecht, die Befugnis des Bundestages, Anfragen an die Regierung zu richten. Dies ist in verschiedenen Formen vorgesehen : |
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Diese Instrumentarien dienen nicht nur als Mittel zur Beeinflussung der Öffentlichkeit, sondern haben durchaus auch Einfluß auf die Arbeitsweisen der Ministerialbürokratie. Dessen ist sich auch die Opposition bewußt, die für weit über 80% der Einsätze dieser Mittel verantwortlich zeichnet, so daß in der Legislaturperiode 1987-1990 beispielsweise 145 große und 1419 kleine Anfragen gestellt sowie 126 aktuelle Stunden abgehalten wurden. Darüberhinaus gab es über 20 000 Anfragen einzelner Abgeordneter. |
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b) Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (nach Art. 44 GG) Untersuchungsausschüsse sind ein traditionelles und scharfes Mittel der parlamentarischen Kontrolle, da das Parlament in ihnen die Informationsbeschaffung nicht mehr der Regierung überläßt sondern an sich zieht. Untersuchungsausschüsse verfahren nach den Methoden der Strafprozeßordnung und können somit Zeugenaussagen erzwingen, Zeugen unter Eid aussagen lassen und Auskünfte von Behörden einholen. Sie können jedoch keine Sanktionen verhängen, so daß die einzige Auswirkung der Arbeit eines Untersuchungsausschusses letztlich auf die allerdings nicht zu unterschätzende Wirkung der Untersuchungsergebnisse und des Untersuchungsverlaufes auf die Bevölkerung beschränkt ist. Seit 1972 gab es folgende Untersuchungsausschüsse des Bundestages : |
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Die Wirksamkeit der Untersuchungsausschüsse ist natürlich auch dadurch begrenzt, daß die die Regierung stützende parlamentarische Mehrheit auch in den Untersuchungsausschüssen in der Überzahl ist. |
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c) Parlamentsbeschlüsse Der Bundestag kann auch rechtlich gänzlich unverbindliche Beschlüsse zu unterschiedlichen Themen treffen - auch Beschlüsse zu Aktionen der Regierung sind möglich. Durch sie wird direkt nichts erreicht, der Bundestag gibt jedoch die Meinung der parlamentarischen Mehrheit für die Öffentlichkeit bekannt, so daß auch hier Reaktionen der Exekutive auf den Beschluß zu erwarten sind. |
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d) Sonstige Kontrollmöglichkeiten Der Bundestag als ganzes, aber auch die Fraktionen, die einzelnen Abgeordneten und sogar politische Parteien sind für Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht antragsberechtigt. Somit hat der Bundestag die Möglichkeit, verfassungsrechtlich bedenkliches Verhalten der Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht kontrollieren und eventuell auch zu Fall bringen zu lassen. |
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Das klassische Kontrollrecht eines Parlaments ist das Haushaltsrecht, über das nach wie vor der Bundestag und somit besonders sein Haushaltsausschuß die Pläne zur Verwendung des Staatshaushaltes durch die Regierung verändern und sogar ablehnen kann. Da der Etat inzwischen gut 500 Mrd. DM jährlich beträgt, ist das Haushaltsrecht ein starkes Mittel zur Beeinflussung und Kontrolle der Regierungspolitik. |
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Im Bereich der Verteidigungspolitik kontrolliert der Verteidigungsausschuß des Bundestages im Rahmen seiner Möglichkeiten die Mittelvergabe im Rüstungsbereich. Der Wehrbeauftragte des Bundestages ist fast ausschließlich auf eine beobachtende Funktion beschränkt. Der Überwachung der Geheimdienste dient letztlich die Parlamentarische Kontrollkomission (PKK), die nur aus wenigen Mitgliedern besteht und über sämtliche Eingriffe in Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis informiert werden muß. |
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Ein Kontrollrecht, das zugleich Wahlrecht ist, ist das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum. Ist der Bundestag nicht mehr mit der Politik der Regierung einverstanden, hat er die Möglichkeit, über die Wahl eines Bewerbers mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages den alten Kanzler zu entlassen und den neuen einzusetzen. Die Anforderungen dieses auf den SPD-Verfassungsarchitekten Carlo Schmid zurückgehenden Instruments sind somit jedoch sehr hoch, so daß es bis dato erst zweimal angewendet wurde: erfolglos 1972 gegen Willy Brandt (Gegenkandidat: Rainer Barzel) und erfolgreich 1982 gegen Helmut Schmidt (Gegenkandidat: Helmut Kohl). |
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Zusammenfassend kann man demnach feststellen, daß sich das Kontrollrecht des Bundestages im Vergleich zu früher verändert hat. Zum einen hat die durchaus Einfluß nehmende Kooperation des Parlaments mit der Regierung zugenommen. Und zum anderen wird inzwischen die eigentliche Kontrolle von den Wählern - aufgrund von Bundestagsuntersuchungsausschüssen, Bundestagsdebatten und -anfragen, aber auch durch die Ergebnisse externer Kontrolle der Exekutive durch Medien und Verbände - ausgeübt wird. |
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4. Die legislative Funktion Der Bundestag ist zusammen mit dem Bundesrat (die Länderkammer) das legislative Element in unserer Staatsordnung, die Gesetzgebung gehört somit zu seinen Privilegien. Das Recht zur Eingabe von Gesetzesvorschlägen (das Initiativrecht) liegt zwar neben dem Bundestag und dem Bundesrat auch bei der Bundesregierung, die Gesetzesberatung und -verabschiedung findet jedoch im Bundestag statt. Üblicherweise werden Gesetzesentwürfe in drei Beratungen (Lesungen) behandelt. Die erste Lesung findet meist ohne Aussprache statt, die Entwürfe werden lediglich an die zuständigen Bundestagsausschüsse delegiert. Die Debatte über die einzelnen Bestimmungen unter Einbeziehung der Empfehlungen der beteiligen Bundestagsausschüsse findet dann in der zweiten Lesung statt. Über hierbei eventuell vorgenommene Änderungen wird dann in der dritten Lesung entschieden und über den Gesetzesentwurf als solchen abgestimmt. Je nach benötigter Mehrheit (absolute oder qualifizierte) wird der Gesetzesentwurf angenommen und an den Bundesrat weitergeleitet oder abgelehnt. Lehnt der Bundestag ein Gesetz ab, ist es gescheitert - eine neuerliche Abstimmung nur nach einer neuerlichen Gesetzesinitiative möglich. Zur Ausübung der legislativen Funktion des Bundestages muß dieser beschlußfähig sein. Davon wird ausgegangen, die Beschlußunfähigkeit - wenn nicht mehr als die Hälfte der Bundestagsmitglieder vor Ort anwesend sind - wird nur auf Antrag von mindestens 33 Parlamentariern festgestellt. |
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In der Praxis geht die überwiegende Zahl der Gesetzesinitiativen von der Regierung oder von der sie stützenden Mehrheitsfraktion im Bundestag aus. Daraus ergibt sich, daß die legislative Funktion des Bundestages immer stärker zu Gunsten einer legislativen Mitbestimmung der Ministerialbürokratie, die für die Regierung die Gesetzesentwürfe vorbereitet, eingeschränkt wird. Natürlich benötigt die Ministerialverwaltung dazu die Unterstützung der Regierung und in der Phase der Gesetzesberatung und -verabschiedung auch die des Bundestages, so daß hier nicht neben den demokratisch legitimierten Gesetzesgeber ein Bürokratiegesetzesgeber tritt. Dennoch ist der Einfluß der Verwaltung auf nicht im Rampenlicht des öffentlichen Interesses stehende Gesetzesvorhaben inzwischen sehr groß geworden - resultierend auch aus der Komplexität der anstehenden Fragen, die die zahlenmäßig weitaus größere Ministerialbürokratie angemessener verarbeiten kann als die nicht einmal 700 Parlamentarier. |
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5. Die Mitwirkungsfunktion in Angelegenheiten der Europäischen Union Zunehmend werden legislative Prozesse auf europäische Ebene verlagert. Diese ist jedoch gouvernemental organisiert, d.h. die Entscheidungen fallen im Rahmen von Ministerräten aus Regierungsmitgliedern der einzelnen EU-Staaten und nicht mehr im Parlament. Somit besteht ein realer Kompetenzverlust der nationalen Parlamente und damit auch des Bundestages. Diesen auszugleichen dient die Neufassung des Artikel 23 GG (der frühere Beitrittsparagraph), der dem Bundestag Einfluß auf den nationalen Willensbildungsprozeß in Europa betreffenden Fragen zuspricht. Wie dieser jedoch letztlich aussehen wird und wie stark der Bundestag Einfluß auf EU-bezogene Entscheidungen nehmen können wird, muß die Praxis erst zeigen. |
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II. Die Organisation des Bundestages Entscheidend für die Effizienz und Einflußmöglichkeiten des Bundestages ist ganz besonders die strukturelle Ausgestaltung des Parlaments. Man kann folgende Organisationsebenen unterscheiden:
Im einzelnen: |
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1. Die Abgeordneten Grundsätzlich sind die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen und von Weisungen einer Partei oder auch ihres Wahlkreises gänzlich unabhängig. Dieses "freie Mandat" entstand aus der deutschen Verfassungsgeschichte. Diese kannte viele Honoratiorenparlamente, deren Abgeordnete das Amt ehrenhalber und nicht für eine Partei ausübten. Inzwischen werden Parlamentarier jedoch so gut wie ausschließlich über die Parteien rekrutiert, der Begriff des "freien Mandates" scheint hier zunächst unangebracht. Doch ist der Abgeordnete nach wie vor in seiner politischen Willensbildung frei, seine Partei und seine Fraktion können ihn höchstens dazu auffordern, in ihrem Sinne abzustimmen und als äußerste Disziplinierungsmaßnahme seinen Parteiausschluß betreiben. Mit diesem würde er jedoch nicht sein Bundestagsmandat verlieren. Auch wäre es widersinnig, die Notwendigkeit von Interessenorganisationen, die dem einzelnen Abgeordneten bei der fachlichen Bewältigung einer inhaltlich weit differenzierten Zahl von Problemen zur Seite stehen, zu leugnen. |
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Die starke Stellung des freien Abgeordneten stützen auch noch die beiden Prinzipien der Indemnität und der Immunität. Ersteres bewahrt den Parlamentarier vor sämtlichen rechtlichen Ansprüchen wegen Äußerungen, die der Abgeordnete im Bundestag machte. Eine Grenze bilden dabei jedoch "verleumnderische" Betätigungen des Abgeordneten im Plenum. Fast noch weitergehend ist die Immunität, die den Abgeordneten vor jeder strafrechtlichen Verfolgung, nicht jedoch vor einer Bestrafung nach seiner Parlamentsangehörigkeit, schützt. Der Sinn dieses Immunitätsprinzips ergibt sich aus der historischen Konstellation, daß von der Obrigkeit ungeliebte Parlamentarier oftmals wegen Bagatelldelikten oder Beleidigungen von der Exekutive aus dem Verkehr gezogen wurden. Heute hat das Parlament die Immunität der eigenen Abgeordneten selbst stark eingeschränkt. So sind Ermittlungsverfahren per se zulässig, über Klageerhebung wegen Bagatellstrafsachen oder Verkehrsdelikten entscheidet der Immunitätsausschuß. Lediglich bei der Klageerhebung aufgrund schwerer Delikte behält sich der Bundestag heute noch im Einzelfall seine Zustimmung vor. |
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Sehr umstritten sind stets die Diäten der Abgeordneten, also ihre Gehälter. Um die Parlamentarier vor der wirtschaftlichen Abhängigkeit von somit auf die Politik Einfluß nehmenden Spendern zu bewahren, halten viele höhere Abgeordnetengehälter für notwendig. Andere fürchten einen Selbstbedienungszyklus, der verfassungsfeindliche Ausmaße annehme. Erst vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die derzeitige Diätenregelung nicht verfassungskonform sei. Zur Zeit wird noch über eine angemessene Neuregelung nachgedacht. Vergleicht man das Gehalt eines Abgeordneten, das sich bereits seit einigen Jahren aus steuerpflichtigen 10 366 DM und steuerfreien 5978 DM zusammensetzt, mit Gehältern von nicht einmal notwendigerweise besonders exponierten Industriemanagern, so muß man feststellen, daß die Abgeordneten unterbezahlt sind - eine schamlose Selbstbedienung kann nicht konstatiert werden. Weitaus problematischer scheint da schon die Tatsache zu sein, daß es keine rechtliche Handhabung gegen Abgeordnete gibt, die entgegen den Verhaltensregeln des Bundestages Einzelspenden über 10 000 DM pro Jahr oder eine Interessenverflechtung zwischen eigener Verbands- oder Berufstätigkeit und den Pflichten im Bundestag (besonders in den Ausschüssen) nicht bekanntgeben. |
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Problematisch ist auch die doppelte Belastung der Parlamentarier, die zum einen der Arbeit im Parlament und zum anderen der Tätigkeit in der außerparlamentarischen Öffentlichkeit, zumeist im eigenen Wahlkreis, verpflichtet sind. Eine Umfrage unter Bundestagsabgeordneten ergab - unter dem Vorbehalt gewisser Übertreibungen - ein Gesamtbild, nach dem der Bundestagsabgeordnete in Sitzungswochen 77,9 Stunden (davon 28,1 in Sitzungen, 19,1 bei Informations- und Kontakttätigkeiten, 15,7 bei administrativen und Routinetätigkeiten, 6,6 bei innovativen und 8,4 bei sonstigen Tätigkeiten) und in sitzungsfreien Wochen 78,1 Stunden (Sitzungen: 4,9 Stunden; Information/Kontakt: 33,2 Stunden; Administration/Routine: 11,4 Stunden; Innovation: 11,9 Stunden und Sonstiges: 16,7 Stunden) in seinem politischen Beruf beschäftigt ist. |
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2. Die Fraktionen Zur Handlungsfähigkeit des Parlaments trägt ganz besonders die Einteilung der Abgeordneten nach Parteizugehörigkeit in die einzelnen Fraktionen bei. Bei namentlichen Abstimmungen beträgt die sogenannte Fraktionsdisziplin, das individuelle Abstimmen in Übereinstimmung mit der eigenen Fraktion, regelmäßig über 90%. Gleichzeitig verlagert sich der eigentliche Willensbildungsprozeß damit weg aus dem Bundestag hinein in die einzelnen Fraktionen. Dies wird beispielsweise am oftmals nur äußerst spärlich gefüllten Plenum deutlich - es kommt den einzelnen Fraktionen nicht auf die Gesamtzahl der abstimmenden Bundestagsmitglieder sondern nur auf das Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Fraktionen an. Die Entscheidungen selbst werden hinter meist verschlossenen Türen der Fraktionssäle getroffen, Debatten im Bundestag dienen oftmals nur der öffentlichkeitswirksamen Begründung der eigenen Position. Die "Durchfraktionierung" des Bundestages wird auch bei der Besetzung verschiedener Bundestagsorgane deutlich. So werden die Ausschußmitglieder, der Ältestenrat und das Bundestagspräsidium von den Fraktionen benannt. Selten kommt es dabei zu Abweichungen - wie zu Beginn der neuen Legislaturperiode, als die CDU/CSU der Fraktion der GRÜNEN einen Sitz im Bundestagspräsidium auf Kosten der SPD ermöglichte. Inzwischen sind jedoch auch die einzelnen Fraktionen zu einer derartigen Größe angewachsen, daß sie selbst intern untergliedert werden müssen, um eine effiziente Arbeitsweise zu garantieren. Wichtigstes Organ der Fraktionen ist regelmäßig der Fraktionsvorstand. Er bringt die Mitglieder einer Fraktion durch Verhandlungen und Diskussionen auf einen einheitlichen Kurs und sorgt für die Planung und Vergabe von fraktionsinternen Aufgaben. Doch auch innerhalb der Fraktionsvorstände - besonders bei den großen Parteien SPD und CDU/CSU - gibt es ein erneut kleineres Organisationsgremium, den geschäftsführenden Fraktionsvorstand. Auch spielt oftmals die Person des Fraktionsvorsitzenden und die des Parlamentarischen Geschäftsführers eine große Rolle für die Willensbildung innerhalb der Fraktionen. Doch neben dieser fraktionsinternen vertikalen Hierarchie bestehen auch horizontale Differenzierungen innerhalb der Fraktionen. So verfügt die CDU/CSU-Fraktion neben der CSU-Landesgruppe etwa über einen Diskussionskreis Mittelstand, eine Frauengruppe, eine Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik und andere auf die Willensbildung Einfluß nehmende Gruppierungen, die - sofern sie sich mit verschiedenen Sachthemen befassen - "Arbeitsgruppen" heißen. Bei der SPD (wie auch bei den anderen Fraktionen) nennen sich die an Sachfragen orientierten Gruppen "Arbeitskreise". Zwei der wohl bekanntesten innerfraktionellen nicht auf bestimmte Sachgebiete begrenzte Fraktionen der SPD sind der rechte "Seeheimer Kreis" und der linke "Leverkusener Kreis". |
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3. Die Hilfsdienste Neben der Unterstützung innerhalb der Fraktionen hat sich im Laufe der Zeit ein Netz von Hilfsdiensten um den Bundestag gelegt, die dem Abgeordneten bei der Beschaffung von zur Willensbildung notwendigen Informationen behilflich sind. So ist dem Bundestagspräsidenten der gut 400 Mann starke "Wissenschaftliche Dienst des Bundestages" mit dazugehörender umfangreicher Bibilothek unterstellt, dessen Dienste jeder Abgeordnete in Anspruch nehmen kann. Auch verfügen die Fraktionen über Mitarbeiter und Fraktionsassistenten, die ihnen bei der Vorbereitung von Sachfragen recherchierend zur Seite stehen. Dem einzelnen Abgeordneten steht darüberhinaus die Möglichkeit offen, öffentlich besoldete persönliche Hilfen, in der Praxis oft technische Hilfskräfte, einzustellen. Obwohl die Hilfsdienste des Bundestages noch nicht so umfangreich wie etwa die des amerikanischen Kongreßes (mit seiner berühmten "Library of Congress") sind, stellen sie doch ein gut ausgebautes Unterstützungssystem für die Parlamentarier dar. |
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4. Die Ausschüsse Wie oben gezeigt, werden Gesetzesvorlagen und zahlreiche parlamentarische Aufgaben nicht primär im Plenum behandelt, sondern an sogenannte Ausschüsse delegiert. Die Zusammensetzung der Ausschüsse muß "ein verkleinertes Abbild des Plenums" sein, ihre Sitzungen finden zumeist unter Ausschluß der Öffentlichkeit satt - sie sind somit die eigentlichen Arbeitsgruppen des Bundestages. Die Vorsitzenden der Ausschüsse werden von den Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke verteilt. Es gibt zahlreiche ständige Bundestagsausschüsse, wie den Innenausschuß, den Petitionsausschuß oder den Haushaltsausschuß, aber auch Ad Hoc-Ausschüsse zu bestimmten aktuellen Anlässen oder sogenannte Enquête-Kommissionen, in die neben Abgeordneten auch außerhalb des Parlaments stehende Fachleute informationsbeschaffend eingebunden sind. |
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An einen Ausschuß verwiesene Gesetzesvorlagen werden von diesem nach der Einholung von Stellungnahmen anderer Ausschüsse Schritt für Schritt diskutiert. In dieser Phase finden auch oftmals noch Änderungen statt - wenngleich zumeist nur bezüglich weniger erheblicher Punkte. Dennoch machen die Ausschüsse den Bundestag zu einer Mischform aus Arbeitsparlament nach US-Vorbild, in dem Gesetze überfraktionell beschlossen werden, und britischem Redeparlament, in dem die Regierungsmehrheit die Gesetze ohne Einflußnahme der Opposition verabschiedet. |
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5. Das Präsidium und der Ältestenrat Das Präsidium des Bundestages besteht aus dem Bundestagspräsidenten und seinen Stellvertretern (nicht zu verwechseln mit dem jeweiligen Sitzungsvorstand bei Plenarsitzungen, der aus dem amtierenden Präsidenten und zwei Schriftführern besteht). Als Organ hat es selbst sehr wenige Kompetenzen. Im Gegensatz dazu stehen die Befugnisse des Bundestagspräsidenten. Er vertritt den Bundestag in allen Angelegenheiten, in denen das Parlament aufgrund seiner Größe nicht selbst auftreten kann. Auch ist er oberster Dienstherr der ca. 1600 Bundestagsbeamten und leitet - im Wechsel mit den Vizepräsidenten - die Parlamentsdebatten. |
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Der Ältestenrat des Bundestages setzt sich aus dem Bundestagspräsidium und weiteren Mitgliedern, die von den Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke entsandt werden, zusammen. Regelmäßig sind darunter auch die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen. Die Aufgabe des Ältestenrates besteht in einer Art Auffangfunktion, d.h. er nimmt die Aufgaben wahr, die weder dem Bundestagspräsidium, noch dem Bundestagspräsidenten zugewiesen sind. Dazu gehört u.a. die Verständigung zwischen den Fraktionen über die Besetzung der Ausschußvorstände und den Verlauf der Bundestagssitzungen, insbesondere auch die Verteilung der Redezeiten. |
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Verwendete Literatur: |
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