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Das Asylrecht |
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Im Dezember 1992 endete mit dem sogenannten "Asylkompromiß" zwischen CDU/CSU, F.D.P. und SPD eine der wohl brisantesten politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. In einem sich ständig aufheizenden Klima wurde von großen Teilen der Bevölkerung die Zahl der in die Bundesrepublik Deutschland einreisenden Flüchtlinge und Asylbewerber als zu hoch empfunden und darin eine Bedrohung für den sozialen Frieden gesehen. Da manche diese dumpfe Angst nicht nur verbal artikulierten sondern in fremdenfeindlichen Verbrechen zum Ausdruck brachten - oder sie zumindest als Anlaß für ihr kriminelles Verhalten nahmen - wuchs im Laufe des Jahres 1992 der Druck auf F.D.P. und SPD, eine zuvor von ihnen strikt abgelehnte Änderung des Grundrechts auf Asyl zu ermöglichen. Nach heftigen gesellschaftlichen und auch innerparteilichen Debatten einigte man sich dann im Dezember auf eine gemeinsame Position und im Juni 1993 wurden schließlich sowohl das Grundrecht auf Asyl als auch die einfachgesetzlichen Umsetzungen entsprechend verändert. Mit drei Urteilen zur Verfassungsmäßigkeit sowohl der Grundgesetzänderung als auch der neuen einfachgesetzlichen Bestimmungen hat das Bundesverfassungsgericht am 14. Mai dieses Jahres die Änderungen fast ohne Einschränkungen bestätigt. Obwohl das Thema Grundrecht auf Asyl im Rahmen dieser "Hintergrund"-Reihe bereits einmal angesprochen wurde, soll die nun geklärte Rechtslage Anlaß für eine umfassendere Behandlung der Thematik sein. |
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I. Geschichte des Asylrechtes Der Gedanke des "Asyls" ist religiösen Ursprungs und blieb auch noch dann sakralen Einflüssen verbunden, als sich andere Rechtsgebiete längst verweltlicht hatten. Indem das Asyl die Überwindung der Blutrache ermöglichte, wurde es auch als "erste große Rechtswohltat" bezeichnet. Doch auch erste überstaatliche (Nicht)Auslieferungsabkommen gab es bereits sehr früh. So existieren solche Vereinbarungen um das Jahr 1270 v. Chr. etwa zwischen Hethiter-Königen und ägyptischen Pharaonen und auch im kleinasiatischen Raum. Die griechischen Stadtstaaten gewährten wenig später bereits politisches Asyl im modernen Sinne. |
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In Europa entwickelte sich das Asylrecht im Laufe des Mittelalters zunächst primär als Kirchenasyl. In kirchlichen Einrichtungen wurde Verfolgten innerhalb eines Staates Asyl als landesrechtliches Asyl gewährt. Diese Praxis wurde ab dem 13. Jahrhundert (z.B. durch Papst Gregor IX. im Jahre 1238) beschränkt und verlor bis heute zunehmend an Bedeutung. So erwähnte der Codex Juris Canonici vom 27.11.1983 - im Gegensatz zu seinem Vorgänger von 1917 - das Kirchenasyl nicht mehr. |
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Mit fortschreitender Säkularisierung des politischen Geschehens gewann auch das völkerrechtliche Asyl als "externes Asyl" stärkere Bedeutung als das "interne" Asylrecht des Kirchenasyls. Seit Gründung des Völkerbundes existiert schließlich ein internationaler Flüchtlingsschutz, der durch Gründung der Vereinten Nationen noch verbessert wurde. Dieser Flüchtlingsschutz spielt sich auf völkerrechtlicher Ebene ab, was ausnahmsweise Einzelpersonen völkerrechtlichen Schutz ermöglicht (normalerweise haben auf völkerrechtlicher Ebene nur Völkerrechtssubjekte, also in der Regel Staaten, gegeneinander Ansprüche und der Bürger muß zur Durchsetzung seiner Interessen innerstaatlich seinen Staat zum Aktivwerden bewegen), woraus aber aus Gründen der Staatenpraxis bis zum heutigen Tage noch kein Menschenrecht auf Asyl hergeleitet werden konnte. Art. 14 I der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sagt zwar:
Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen. |
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Aufgrund seiner Entstehungsgeschichte ist in ihm jedoch lediglich eine besondere Ausprägung des Rechtes auf Freizügigkeit (mithin: des Rechtes sich auf die Flucht zu begeben) und kein subjektiver Anspruch gegenüber anderen Staaten auf Asyl zu sehen. Gewährt ein Staat jedoch - auf völkerrechtlich freiwilliger Basis - Asyl, so muß dies von anderen Staaten als Ausfluß seiner Souveränität akzeptiert werden. Nichts wesentlich neues brachte in dieser Hinsicht auch eine Asylrechtserklärung der Vereinten Nationen vom 14.12.1967, die darüber hinaus auch nur empfehlenden Charakter hatte. In ihr wurde zunächst erneut die oben beschriebene Haltung bestätigt. Ihr Absatz 3 enthielt dann zwar die Aussage, daß niemand in einen Verfolgerstaat abgeschoben werden dürfe. Dabei handelte es sich jedoch nur um eine Bestätigung des völkerrechtlich bereits anerkannten Grundsatzes des "Non-Refoulment". |
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Die Entwicklung in Europa verlief zum großen Teil entsprechend. Auch in der Europarat-Asylrechtserklärung von 1977 wurde das Asyl primär als Ausdruck der Souveränität der einzelnen Staaten gewertet, die Erfüllung etwaiger "humanitärer Pflichten" blieb jedem Staat selbst überlassen. Für die EG wurde lange Zeit die Kompetenz zur gemeinsamen Regelung von Asylrechtsfragen verneint, so daß bis zum Vertrag von Maastricht 1992, in den eine solche Kompetenz dann Eingang fand, primär mit dem Instrument des "begleitenden Gemeinschaftsrechtes" gearbeitet werden mußte. Darunter sind völkerrechtliche Verträge zu verstehen, in denen die Vertragsstaaten Sachfragen regeln, die prinzipiell in den Bereich der Europäischen Gemeinschaft fallen. Im Gegensatz zum eigentlichen Gemeinschaftsrecht bedürfen solche Verträge jedoch vollständiger Verfassungskonformität, um innerstaatliche Rechtswirkungen zu erzeugen. Aus diesem Grunde blieben die beiden Schengener Abkommen (16. Juni 1985 und 19. Juni 1990) sowie das Dubliner Asylabkommen vom 15. Juni 1990 für die bundesdeutsche Asylrechtsregelung zunächst ohne größeren Einfluß. Auch wenn nach den Abkommen bereits eine Asylentscheidung eines anderen Staates vorlag, konnte diese in der Bundesrepublik Deutschland nicht einfach erkannt werden. Vielmehr mußte ein neuer Asylantrag nach Maßgabe des Art. 16 II GG geprüft werden. |
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In Deutschland selbst gab es vor 1945 kein verfassungsrechtlich verankertes Grundrecht auf Asyl. Lediglich in §3 DAG vom 23.12.1929 fand sich der bei weitem nicht so umfassende Grundsatz der Nichtauslieferung wegen politischer Taten. Als Reaktion auf die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, in der politisch verfolgte Deutsche (insbesondere Deutsche jüdischen Glaubens) im Ausland nur sehr schwer Schutz fanden, wurde dann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Asylrecht zunächst in einigen Landesverfassungen festgeschrieben - so heißt es z.B. in Art. 7 der Hessischen Verfassung:
[...] Fremde genießen den Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Hessen geflohen sind. |
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1949 fand dann schließlich ein Grundrecht auf Asyl auch Einzug in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Der zweite Satz des Art. 16 II bestimmte:
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. |
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Bis zum 31.12.1992 nahmen lediglich 166.169 Personen als anerkannte Asylberechtigte dieses Recht in Anspruch. Die Zahl derjenigen, die Schutz in der Bundesrepublik Deutschland suchten, stieg jedoch Mitte der 70er Jahre erstmals stark an. Der Gesetzgeber reagierte mit ersten Straffungen des Anerkennungsverfahrens und konnte mit dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) von 1982 auch meßbare Erfolge erzielen. Die Zahl der Aslysuchenden ging in den unmittelbar folgenden Jahren erheblich zurück, um dann jedoch gegen Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre wieder stark anzusteigen. Der Gesetzgeber versuchte wiederum, mit zahlreichen verfahrensrechtlichen Änderungen, u.a. einer umfassenden Veränderung des AsylVfG im Juni 1992, die Verfahren kürzer zu gestalten, hatte damit jedoch keinen Erfolg. |
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Neben dem Asylrecht haben inzwischen andere Bleiberechte erheblich an Bedeutung gewonnen ("kleines Asyl"). So verhindert jedenfalls der Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 I GG - ohne daß ein Asylanspruch vorliegen muß - Abschiebungen in Länder, in denen dem Betroffenen die Folter droht. (Für eine drohende Todesstrafe dürfte inzwischen ähnliches gelten.) |
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II. Das "alte" Asylrecht in der Praxis Obwohl die folgenden Erläuterungen sich auf die Praxis vor der Neuregelung des Asylrechts 1993 beziehen, sind sie - trotz der Formulierung im Imperfekt - zum überwiegenden Teil auch heute noch relevant, wobei natürlich die Einschränkungen durch die Neuregelung zu berücksichtigen sind. |
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Art. 16 II 2 a.F. GG gewährte politisch Verfolgten einen innerstaatlichen subjektiven Anspruch auf Asyl und ging damit erheblich über völkerrechtliche Bestimmungen hinaus. Dieser Anspruch stand ausschließlich Fremden (also Ausländern und Staatenlosen) zu. Er galt für "politisch Verfolgte", wobei in der Folgezeit der Flüchtlingsbegriff des Genfer Abkommens (GFK) als Definitionshilfe herangezogen wurde. Somit lag politische Verfolgung dann vor, wenn der Betroffene wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer nationalen Gruppen oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt war oder begründeten Anlaß zur Furcht vor solchen Maßnahmen hatte. Diese Flüchtlingsdefinition war jedoch nicht in der Lage, den Begriff des "politisch Verfolgten" abschließend zu regeln, denkbar waren mithin Fälle, in denen das Grundgesetz auch Personen Asyl gewähren wollte, die vom Flüchtlingsbegriff der GFK nicht erfaßt sind - etwa bei staatlicher Verfolgung Homosexueller. |
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1. Die Verfolgung Die Verfolgung mußte von einem Träger überlegener Gewalt ausgehen. Damit war in der Regel nur die Verfolgung durch hoheitliche / staatliche Stellen erfaßt. In Zeiten deren Ausschaltung (etwa im Bürgerkrieg) wurde aber auch Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen von de facto herrschenden Gruppen gewährt. |
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Die Verfolgung mußte nicht unbedingt aktiv von den Inhabern hoheitlicher Gewalt ausgehen, es reichte eine passive Duldung, d.h. ein Nichteinschreiten gegen Verfolgungsmaßnahmen durch Private, obwohl die Ergreifung von Gegenmaßnahmen möglich gewesen wäre (nicht erfaßt vom Begriff der Verfolgung waren also Situationen, in denen ein Staat aus tatsächlichen Gründen einfach nicht in der Lage war, dem Betroffenen Schutz zu gewähren).
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Erforderlich für die Annahme einer Verfolgung war eine vermutete Rechtsgutsverletzung von erheblicher Intensität, die den Verfolgten aus der gesellschaftlichen Ordnung ausgegrenzt hätte. D.h. es mußte eine Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der wirtschaftlichen Existenzgrundlage oder der persönlichen, bzw. religiösen Freiheit des Einzelnen vorliegen, der Betroffene durch die Rechtsgutsverletzung also in eine "ausweglose Lage" gebracht werden. Dieser Ausschluß weniger erheblicher Konsequenzen aus dem Begriff der Verfolgung erklärte sich aus der humanitären Zielsetzung des Grundrechtes, das Flüchtenden als letzten Ausweg die Zuflucht in der Bundesrepublik ermöglichen sollte. |
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Der Annahme einer Verfolgung stand ebenfalls die Existenz einer Fluchtalternative innerhalb des Herkunftslandes entgegen. Wurde der Betroffene also nur in einer bestimmten Region verfolgt, und hätte er ohne unzumutbare Belastung und ohne weitere Verfolgung in einen anderen Teil des Landes flüchten können, so wurde das Vorliegen einer Verfolgung verneint. Die Gerichte gingen sogar darüber hinaus und lehnten eine Verfolgung auch beim Vorhandensein einer ausländischen Fluchtalternative ab. Eine solche wurde dann angenommen, wenn der in seinem Heimatland Verfolgte bereits in einem anderen Staat als Flüchtling anerkannt worden war und die rechtliche Stellung im Sinne der GFK oder entsprechender Übereinkommen genoß. Diese zusätzliche Begrenzung des Verfolgungsbegriffes wurde zum Teil als bedenklich angesehen, da der Anspruch auf Zuflucht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland - und nicht der Bundesrepublik als Teil der Staatengemeinschaft - bestand und lediglich vom Vorliegen der politischen Verfolgung - und nicht vom Nichtvorliegen anderweitiger Schutzmöglichkeiten - abhängig war. |
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Die Verfolgung mußte sich gegen den Aslysuchenden selbst richten, die bloße Zugehörigkeit zu einer "verfolgten" Gruppe wurde nur in Ausnahmefällen (z.B. enge familiäre Verbundenheit oder geringe Größe der Gruppe und damit einhergehend gesteigerte Gefahr einer Individualverfolgung) als ausreichend anerkannt. |
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2. Das "politische" Element Eine "politische Verfolgung" wurde - in Anknüpfung an den Flüchtlingsbegriff der GFK (s.o.) - dann angenommen, wenn der einzelne aufgrund für ihn unveränderlicher Merkmale verfolgt wurde. Schwierig wurde die Abgrenzung in Fällen politischer Straftäter. Grundsätzlich konnte die Aufstellung eines Straftatbestandes durch den Verfolgerstaat den Maßnahmen natürlich nicht den Charakter der politischen Verfolgung nehmen. In Grenzbereichen galt es jedoch zu ermitteln, ob der Staat nur die politische Überzeugung verfolgte oder ob er darüber hinaus zum Schutze von Rechtsgütern seiner Bürger, bzw. zur Ahndung zusätzlicher, in der Staatenpraxis als solcher anerkannter krimineller Momente handelte. Eine ähnliche Abgrenzungsschwierigkeit ergab sich bei der staatlichen Terrorismusbekämpfung, bei der ebenfalls untersucht werden mußte, inwieweit der Staat die kriminelle terroristische Betätigung bekämpfte, oder ob er eine politische Gesinnung verfolgte. An diesen Fragenkreis knüpfte auch die Frage an, inwieweit der Verfolgende bewußt eine "politische" Verfolgung vornehmen mußte (so zum Teil das Bundesverwaltungsgericht) oder ob auch die subjektiv sich auf kriminelle Betätigung beschränkenden Repressionen erfaßt waren, sofern sie objektiv lediglich an asylrelevanten Merkmalen anknüpften. |
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3. Zeitpunkt der Verfolgung Die Verfolgung brauchte selbst noch nicht vorzuliegen, zumindest mußte sie jedoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bevorstehen. Dabei wurde auf den Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung in der Bundesrepublik abgestellt, was zur Folge hatte, daß Veränderungen der Lage im Herkunftsland berücksichtigt wurden. Eine weitere Folge war die zumindest partielle Relevanz von sogenannten Nachfluchtgründen. Darunter versteht man den Eintritt politischer Verfolgung nachdem der Betreffende sein Herkunftsland bereits verlassen hatte. Hierbei wurde vom Bundesverfassungsgericht eine Einschränkung für die Fälle vorgenommen, in denen die Nachfluchtgründe nicht durch objektive Veränderungen im Herkunftsland, sondern subjektiv durch das Verhalten des Asylsuchenden geschaffen wurden und dieses Verhalten nicht die konsequente Fortführung einer bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten politischen Überzeugung darstellte. Begründet wurde diese teilweise Nichtanerkennung von Nachfluchtgründen, die wie auch die Begründung selbst zum Teil auf heftige Kritik stieß, mit dem notwendigen Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung, Flucht und Asyl, der in den herausgenommenen Fällen nicht mehr gegeben sei. |
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4. Weitergehende Auswirkungen des Asylrechtes Umstritten war die Frage, ob Art. 16 II 2 GG lediglich dem Betroffenen ein Recht auf Asylgewährung - oder ein Abwehrrecht gegen Beschränkungen seines Asylrechtes - gegenüber dem Staat geben sollte, oder ob sich aus dem Asylrecht darüber hinaus weitere Ansprüche ergeben könnten. So wurde zum Teil angenommen, daß Art. 16 II 2 GG auch Rechtswirkungen für diejenigen entfaltete, die lediglich Asyl suchten - ohne dazu berechtigt zu sein. Dabei wurde argumentiert, daß zur Feststellung der Aslyberechtigung zwangsläufig ein Verfahren durchgeführt werden müsse, so daß sich der Anspruch auf ein solches Verfahren - inklusive etwa ein für dessen Dauer gültiges Bleiberecht - als verfahrensrechtlicher Anspruch direkt aus Art. 16 II 2 GG ergeben müsse. Dieser Anspruch würde darüber hinaus zum Behufe eines effektiven Grundrechtsschutzes gewisse Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens stellen. Ebenfalls diskutiert wurde die Ableitung von Teilhabe- und Leistungsrechten, die dem Betroffenen etwa eine menschenwürdige Existenz ermöglichten, unmittelbar aus Art. 16 II 2 GG. |
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Das Asylverfahren selbst sah vor, daß die Ausländerbehörde nach Prüfung der Beachtlichkeit des Asylantrages diesen zur Entscheidung an das Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge weiterzuleiten hatte. Dort wurde dann über die Anerkennung entschieden, eine Widerspruchsmöglichkeit bestand nicht. Nicht ganz in dem Maße wie das Verwaltungsverfahren, aber ebenfalls verkürzt stellte sich auch das Gerichtsverfahren dar. Wies die Kammer des Verwaltungsgerichtes (nicht der Einzelrichter) die Klage über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet oder offensichtlich unzulässig ab, waren Berufung und Revision von vorneherein ausgeschlossen. Ansonsten stand dem Asylbewerber der ganz normale Verwaltungsrechtsweg offen. |
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III. Der Streit um das "alte" Asylrecht Schon seit 1980 mehrten sich die Stimmen, die eine Änderung des Aslyrechtes forderten. Die Motivationen waren dabei durchaus unterschiedlich. Zum einen wurde auf die wachsende Zahl der Asylbewerber abgestellt und der "Mißbrauch des Asylrechtes" angeprangert (was schon begrifflich verfehlt sein dürfte: mißbrauchen kann man etwas nur, wenn man in seinem Besitz ist - die sog. "Wirtschaftsflüchtlinge" wurden jedoch nicht als Asylberechtigte anerkannt und konnte somit das Asylrecht auch nicht "mißbrauchen"). Insbesondere wurde auch die lange Dauer der Asylverfahren moniert. Eine Extremposition nahm sogar die Verfassungswidrigkeit des Art. 16 II 2 GG an. Als Gründe hierfür wurde neben der Beschränkung der Volkssouveränität - der Gesetzgeber sei an jeglicher sachlicher Verfügung über das Asylrecht gehindert - und der Widersprüchlichkeit des Asylrechtes, dessen politische Durchsetzbarkeit mit der Intensität seiner Inanspruchnahme sinke, u.a. ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angeführt, da im Gegensatz zum für Ausländer geltenden Asylrecht im Freizügigkeitsrecht für Deutsche ein Gesetzesvorbehalt bestehe. Ein ganz anderer Ansatz argumentierte auf naturrechtlicher Basis. Da Menschen mit begrenztem Altruismus, begrenzter Willensstärke, begrenzten Mitteln und begrenztem Verständnis ausgestattet seien, stünde die umfassende Gewährung von Asyl trotz aller humanitären Zielsetzung letztlich im Widerspruch zur Natur des Menschen, müsse daher zwangsläufig Gegenreaktionen hervorrufen und sei aus diesen Gründen nicht mehr haltbar. Vielmehr müsse es um die Einhaltung völkerrechtlicher Pflichten gehen, die eine Art "universellen" Gesellschaftsvertrag darstellten. |
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In die heiße Phase traten dann die Änderungswünsche spätestens in den Jahren 1990 und 1992, als die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat, sowie die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Änderungsentwürfe für Art. 16 II 2 GG einbrachten. Im großen und ganzen wurde in ihnen bereits die Basis der später tatsächlich erfolgten Änderungen entworfen. |
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Auf der anderen Seite gab es aber auch sehr viele, die sich für die Beibehaltung des bisherigen Art. 16 II 2 GG aussprachen. Auf rechtlicher Seite wurde beispielsweise vorgebracht, daß ein Gesetzesvorbehalt keinen Sinn machen könne, da ein Gesetzesvorbehalt den Gesetzgeber ermächtige, die Ausübung eines Freiheitsrechtes zu beschränken oder zu regeln (also z.B. die Berufsfreiheit so einzuschränken, daß man bei der Wahl mancher Berufe eine Prüfung ablegen muß). Das Asylrecht als Recht, in Deutschland Schutz zu finden, könne jedoch nicht eingeschränkt werden - entweder man dürfe in Deutschland bleiben oder nicht. Beschränkungen durch den einfachen Gesetzgeber würden mithin automatisch den Wesensgehalt des Asylrechts vernichten und damit gegen Art. 19 II GG verstoßen. Eine Ablösung des individuellen Asylgrundrechtes durch eine institutionelle Garantie sei überflüssig, da auch eine solche institutionelle Garantie immer subjektive Rechtsstellungsgarantien beinhalte. |
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Eine gänzliche Abschaffung des Asylrechtes wurde politisch mit dem Argument abgelehnt, daß dies kaum helfen würde, das gewünschte Ziel zu erreichen, da selbst die real sehr niedrigen Anerkennungsquoten nicht zu einem Ernüchterungseffekt bei den Asylsuchenden geführt hätten. |
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Zum Teil wurde darüber hinausgehend die Ansicht vertreten, die in der Praxis durch Gesetzgebung und Rechtsprechung vorgenommenen Einschränkungen des Aslyrechtes (z.B. Abwägungen zwischen dem Asylrecht eines Asylsuchenden und der Staatssicherheit), seien verfassungswidrig und deshalb für die Zukunft zu unterlassen. |
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IV. Die Änderungen des Jahres 1993 Kurz nach der Änderung des Grundgesetzes wurden auch zahlreiche Änderungen des AsylVfG - ebenfalls in enger Kooperation zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und F.D.P. mit der SPD - verabschiedet. Neben dem nach wie vor bestehenden und in Art. 16a I GG wortgleich zum alten Satz 2 des Art. 16 II GG normierten Grundrecht auf Asyl wurden verschiedene Ansatzpunkte zu seiner Einschränkung und zur Straffung des zu seiner Feststellung erforderlichen Verfahrens gewählt. Darüber hinaus wurde ein Sonderstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge in das Ausländergesetz (AuslG) eingefügt. Nach einer Einigung von Bund und Ländern können danach Flüchtlinge aus den betroffenen Gebieten eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, wobei während ihrer Gültigkeit dem Flüchtling die Aufnahme in das Asylverfahren unmöglich gemacht ist. |
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1. Das Konzept der sicheren Drittstaaten (Abs. II) Der hinter dem Konzept der sicheren Drittstaaten stehende Gedanke ist der, daß ein in die Bundesrepublik Deutschland einreisender Flüchtling sich dann nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen können soll, wenn er aus einem Land einreist, in dem er bereits Verfolgungsschutz hätte genießen können. Der Begriff der Einreise umfaßt dabei sowohl die Einreise über den Landweg als auch über den Luft- oder Seeweg. Allerdings muß der Aslysuchende die Möglichkeit gehabt haben, an der Grenze oder im Hoheitsgebiet dieses Staates um Verfolgungsschutz zu ersuchen. Die "sicheren Drittstaaten" selbst sind in zwei Gruppen zu unterteilen: zum einen bestimmt die Verfassung selbst die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften zu sicheren Drittstaaten, zum anderen wird der Gesetzgeber ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates weitere sichere Drittstaaten zu bestimmen. Dabei muß jedoch geprüft werden, ob in diesem Drittstaat die Anwendung der GFK und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. In § 26a II AsylVfG in Verbindung mit Anlage I sind Finnland, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik zu solchen sicheren Drittstaaten bestimmt worden. Sollte sich in einem dieser Länder kurzfristig die Sicherheitslage ändern, ist die Bundesregierung durch § 26a III AsylVfG ermächtigt, den betreffenden Staat per Rechtsverordnung für bis zu sechs Monaten vom Kreis der sicheren Drittstaaten auszunehmen. Innerhalb dieser Frist hat dann der Gesetzgeber die Möglichkeit, die Liste selbst neu festzulegen. Als Folge einer Einreise aus einem solchen sicheren Drittstaat ist der Asylsuchende nicht mehr in der Lage, sich auf das Grundrecht aus Art. 16a I GG zu berufen. Satz 3 des Abs. II bestimmt darüber hinaus, daß aufenthaltsbeendende Maßnahmen (sprich: Abweisung an der Grenze und Abschiebungen) auch dann durchgeführt werden dürfen, wenn der Asylsuchende einen gegen sie gerichteten Rechtsbehelf eingelegt hat. Damit sollte die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes genommen werden. |
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2. Das Konzept verfolgungsfreier Herkunftsstaaten (Abs. III) Einen anderen Ansatzpunkt wählte der Verfassungsgesetzgeber mit dem Konzept verfolgungsfreier Herkunftsstaaten. Der Gedanke war der, daß bei manchen Ländern vom Nichtvorliegen politischer Verfolgung im Grundsatz ausgegangen werden könne. Die Verfassung ermächtigt deshalb den Gesetzgeber, mit Zustimmung des Bundesrates solche Staaten zu bestimmen. Als Kriterien für die Sicherheit eines Herkunftsstaates werden dabei die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse herangezogen. In der Anlage II zum AsylVfG wurden in Verbindung mit § 29a II AsylVfG Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Rumänien, Senegal, die Slowakische Republik, die Tschechische Republik und Ungarn zu sicheren Herkunftsländern bestimmt, wobei jedoch Gambia später wieder von dieser Liste entfernt wurde. (Auch hier besteht die einfachgesetzlich normierte Möglichkeit der Bundesregierung, mittels einer Rechtsverordnung kurzfristig auf Änderungen der Sicherheit in einzelnen Herkunftsstaaten zu reagieren.) Bei einem Asylsuchenden, der aus einem sicheren Herkunftsland stammt, wird nun von Verfassungs wegen keine politische Verfolgung angenommen, es sei denn, der Betreffende kann Tatsachen vorbringen, die Grund zur Annahme des Gegenteils geben. Trägt er nichts dergleichen vor, wird sein Asylantrag gemäß § 29a I AsylVfG als "offensichtlich unbegründet" angesehen. Reist jemand auf dem Luftweg aus einem sicheren Herkunftsstaat ein, verkürzt auf einfachgesetzlicher Ebene der § 18a AsylVfG das Verfahren zusätzlich (die sogenannte "Flughafenregelung"). Hier ist - soweit möglich - eine Unterbringung des Betreffenden auf dem Flughafengelände sowie die unverzügliche Asylantragstellung und Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vorgesehen. Gegen eine ablehnende Antragsbescheidung muß der Asylsuchende nach § 18a IV AsylVfG innerhalb von drei Tagen einstweiligen Rechtsschutz beantragt haben, ansonsten kann eine Abschiebung (bzw. Abweisung an der Grenze) erfolgen. |
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3. Die Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes (Abs. IV) Wenn Asylbewerber aus verfolgungsfreien Herkunftsstaaten gemäß Abs. III kommen, oder wenn andere Fälle der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages vorliegen, wird in Abs. IV des Art. 16a GG der gerichtliche Rechtsschutz für die betreffenden Asylsuchenden eingeschränkt. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen (s.o.) dürfen danach im Wege des Eilrechtsschutzes nicht schon dann von den Gerichten vorläufig unterbunden werden, wenn Zweifel an der Richtigkeit der Asylablehnung bestehen. Vielmehr müssen dem Gericht "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme" kommen. Darüber hinaus wird der Gesetzgeber ermächtigt, den Prüfungsumfang der Gerichte zu beschränken, was er mit § 36 IV AsylVfG auch getan hat. Danach darf das Gericht - ähnlich dem Vorgehen im Zivilprozeß - nur solche Beweismittel und Tatsachen berücksichtigen, die von den Verfahrensbeteiligten angegeben worden sind. Darüber hinaus gehend dürfen nur gerichtsbekannte oder offenkundige Beweismittel und Tatsachen berücksichtigt werden. Schließlich ermächtigt Art. 16a IV GG auch noch dazu, verspätetes Vorbringen des Asylsuchenden im Verfahren unberücksichtigt zu lassen (materielle Präklusion). |
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4. Der Vorbehalt völkerrechtlicher Verträge (Abs. V) Schließt die Bundesrepublik mit Staaten der Europäischen Gemeinschaften oder anderen Staaten völkerrechtliche Verträge ab, in denen die Verpflichtungen der GFK und der EMRK beachtet werden, und ist die Anwendung der EMRK in den betreffenden Staaten sichergestellt, so können damit Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylanträgen und die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen getroffen werden, auch wenn die Voraussetzungen der Absätze II bis IV nicht vorliegen. Dadurch sollte die vollständige Anwendung des Schengener und des Dubliner Übereinkommens unabhängig von nationalen Vorbehaltsklauseln ermöglicht werden. |
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V. Die Beurteilung der Neuregelungen Der neue Art. 16a GG ist auf unterschiedliche Resonanz gestoßen. Sowohl auf politischer als auch rechtlicher Basis gab es Zustimmung und Ablehnung. Auf praktisch einhellige Kritik stieß allerdings die Tatsache, daß die Vorschrift nicht systemgerecht sei. Darüber hinaus müßten Normen des Grundgesetzes auch noch in vielen Jahren zumindest durch neue Interpretation zeitgerecht ausgelegt werden können. Dafür sei der neue Art. 16a GG jedoch viel zu detailliert. |
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1. Die Beurteilungen hinsichtlich des Konzeptes der sicheren Drittstaaten Die schärfste rechtliche Kritik am Konzept der sicheren Drittstaaten wandte sich gegen den dritten Satz, in dem die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch bei eingelegtem Rechtsbehelf normiert wurde. Zum einen wurde moniert, daß dadurch die Rechtswegegarantie des Art. 19 IV GG modifiziert werde, ohne daß darauf gemäß Art. 79 I GG explizit hingewiesen würde. Auch erfordere der Schutz der Menschenwürde, daß die Behörden eine Einzelfallprüfung vornehmen müßten, inwieweit der Betroffene durch die Zurückweisung, bzw. Abschiebung Menschwürdeverletzungen zu befürchten habe. Verstünde man Abs. II als nach rein formalen Kriterien einsetzbare Regelung, müsse man somit einen Verfassungsverstoß bejahen. Es sei zwar zu berücksichtigen, daß in sicheren Drittstaaten ja von Verfassungs wegen die Bestimmungen von GFK und EMRK eingehalten werden müssen und bei Verstoß gegen diese Kriterien nicht Art. 16a II GG sondern vielmehr das einfache Gesetz, das diese Drittstaaten bestimmt hat, verfassungswidrig sei. Allerdings seien die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften automatisch von Abs. II des Art. 16a GG zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden und es somit denkbar, daß Menschenwürdeverletzungen durch die Abschiebung in einen solchen Staat - und vor allem durch die eventuelle weitere Abschiebung durch diesen Staat (sogenannte "Kettenabschiebung") - möglich würden, Art. 16a II GG zumindest insoweit verfassungswidrig sein könnte. Ein weiterer Kritikpunkt setzte an den Maßstäben der Gewaltenteilung (Art. 20 II GG) und des Rechtsstaatsprinzipes (Art. 20 III GG) an. Diese Grundsätze verlangten ein Mindestmaß effektiven Rechtsschutzes, der zwar nicht unbedingt durch Gerichte, aber doch durch eine unabhängige Kontrollinstanz gewährt werden müsse. Behaupte nun ein Asylsuchender, der Drittstaat sei nicht sicher, verhindere Art. 16a II 3 GG vorläufigen Rechtsschutz, so daß der Betreffende in den vermuteten sicheren Drittstaat abgeschoben würde. Ihm bliebe lediglich die Möglichkeit, ein Hauptsacheverfahren vor den deutschen Gerichten aus eben diesem Drittstaat anzustreben, um dort die Richtigkeit seiner Behauptung zu beweisen. Sei seine Behauptung jedoch richtig, dann sei der Drittstaat auch nicht sicher und der Asylsuchende rein tatsächlich kaum in der Lage, ein solches Verfahren in Deutschland anzustreben. Mithin fehle es in diesen Fällen am vom Rechtsstaatsprinzip geforderten Minimalrechtsschutz. Jedenfalls ergäben sich jedoch schwere Bedenken gegen die einfachgesetzliche Norm des § 34a AsylVfG. In ihr wird der Ausschluß einstweiligen Rechtsschutzes für alle Fälle der Abschiebungsanordnung in einen sicheren Drittstaat angeordnet. Dies umfasse auch Fälle, in denen bereits das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 16a II 1 GG strittig sei und werde mithin von der Verfassungsbestimmung, die nur beim tatsächlichen Vorliegen dieser Voraussetzungen greife, nicht mehr gedeckt. Problematisch sei darüber hinaus auch die unterschiedliche Begriffsbestimmung. Indem bei sicheren Drittstaaten auf die GFK abgestellt werde, das Grundgesetz selbst aber am weiteren Begriff des politisch Verfolgten festhalte, seien Fälle denkbar, in denen der Asylsuchende sich wegen der Drittstaatenregelung nicht auf Art. 16a I GG berufen könne, im Drittstaat jedoch wegen der Nichterfassung der Besonderheiten seines Falles durch den Flüchtlingsbegriff der GFK ebenfalls keinen Schutz finde. |
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Von anderen wurde hingegen eine konträre Ansicht vertreten und die Vereinbarkeit der Drittstaatenregelung mit dem Grundgesetz bejaht. Das Zitiergebot des Art. 79 I GG könne nicht verletzt sein, da es sich bei Art. 16a II GG um im Verhältnis zu Art. 19 IV GG gleichrangiges Recht handele und innerhalb der Verfassung ein Zitiergebot nicht bestehe. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde könne durch restriktive Interpretation des Satzes 3 vermieden werden. Man müsse die Norm dafür lediglich so auslegen, daß sich die Unzulässigkeit vorläufigen Rechtsschutzes nur auf die Geltendmachung des Grundrechts auf Asyl bezöge. Mache der Asylsuchende - bei drohender Abschiebung in einen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften, denn ansonsten muß es sich ja um sichere Drittstaaten handeln, in denen seine Menschenwürde gar nicht gefährdet sein kann - auch drohende Menschenwürdeverletzungen geltend, greife die Einschränkung nicht, ein Verstoß gegen Art. 1 I GG läge demnach auch nicht vor. Und auch § 34a AsylVfG könne verfassungskonform interpretiert werden. Indem er auf § 26a AsylVfG abstelle, könne man erkennen, daß eine Einreise aus einem sicheren Drittstaat tatsächlich vorliegen müsse, damit der Ausschluß des vorläufigen Rechtsschutzes greifen könne. Somit wäre er jedoch wieder von Art. 16a II GG gedeckt. |
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Aber auch rechtspolitisch wurden schwere Bedenken gegen die Drittstaatenregelung geäußert. Folge man der Auffassung der CDU/CSU, nach der - im Gegensatz zur Meinung der F.D.P. und der SPD - der Ausschluß von der Berufung auf das Grundrecht auf Asyl schon dann greife, wenn feststehe, daß der Betreffende aus irgendeinem sicheren Drittstaat eingereist ist und nicht genau geklärt werden muß (bzw. kann), um welchen Staat es sich genau handelte, dann stelle sich die Situation so dar, daß der Betreffende sich nicht auf das Asylrecht berufen kann, andererseits aber auch nicht abgeschoben werden kann, da kein Staat bereit sein werde, sich völkerrechtlich zur Rücknahme von Personen zu verpflichten, bei denen noch nicht einmal feststeht, daß sie wirklich über sein Territorium in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Dann bleibe als Alternative aber nur die Abschiebung in das Herkunftsland, was kaum mit Art. 1 GG und Art. 3 EMRK vereinbar sei, so daß letztlich wohl das dafür ungeeignete Bleiberecht eingreifen müsse. Somit würde Art. 16a II GG die Tendenz zur illegalen Einwanderung und anschließender Vernichtung aller Hinweise über die durchreisten Staaten nur noch forcieren. Aber auch im Falle möglicher Abschiebungen in sichere Drittstaaten läge letztendlich nur eine Verlagerung des Problems in die (zumeist östlichen) Nachbarländer vor. Diese würden vermutlich über kurz oder lang ähnliche Regelungen in ihr Flüchtlingsrecht aufnehmen, so daß sich Europa mehr und mehr gegen die weltweiten Flüchtlingsbewegungen abschotte. Das Grundrecht auf Asyl würde mithin "entleert". |
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2. Die Beurteilungen hinsichtlich des Konzeptes verfolgungsfreier Herkunftsstaaten Die Einwände gegen diesen Bereich der Verfassungsänderungen waren primär rechtspolitischer Natur. Insbesondere wurde vorgetragen, mit der Normierung der Nichtverfolgungs-Vermutung aus sicheren Herkunftsstaaten sei lediglich die ständige Rechtssprechungspraxis in Verfassungsrang erhoben worden ("Diese Regelung der Beweislastverteilung unterscheidet sich von der bisherigen Rechtsprechung wie ein Ei vom anderen." C. Gusy, S. 507). Auch unter einem anderen Gesichtspunkt sei die Neuregelung überflüssig. Lege der Gesetzgeber die Kriterien bei der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten eng aus, würden nur wenige Länder in Betracht kommen. Aus diesen kämen jedoch keine Asylbewerber, so daß hier keine Entlastung des Asylverfahrens entstünde. Werden sie weit ausgelegt, würden auch Staaten erfaßt, bei denen die Lage so sei, daß die betroffenen Asylbewerber die Nichtverfolgungsvermutung zu widerlegen versuchen werden, so daß hier ebenfalls kein Beschleunigungseffekt einträte. Darüber hinaus könne bei der Debatte, welcher Staat denn nun in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufgenommen werden soll, durchaus außenpolitischer Schaden angerichtet werden, da ein entsprechendes Gesetz nicht nur den Bundestag sondern auch den Bundesrat passieren muß und Debatten über die Sicherheit eines Staates von diesem als Provokation aufgefaßt werden könnten. Eventuell unvereinbar mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG sei darüber hinaus die Tatsache, daß sichere Drittstaaten nicht unbedingt sichere Herkunftsstaaten seien. Das hätte zur Folge, daß beispielsweise ein Angolaner, der über die Schweiz einreist, sofort dorthin zurückgeschoben werden kann. Ein Schweizer könne jedoch - solange das Land nicht auf der Liste der sicheren Herkunftsstaaten steht - mangels "Drittstaat" nicht nach Art. 16a II GG direkt zurückgeschoben werden. Und selbst die erhöhte Darlegungslast des Art. 16a III GG träfe ihn nicht, da sein Herkunftsland ja vom Gesetzgeber nicht als "sicher" eingestuft worden sei. |
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3. Die Beurteilungen hinsichtlich der Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes Kritisiert wurde vor allem die ungenaue Bestimmung, nach der "ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen müßten. Prinzipiell würde dies bedeuten, die Gerichte könnten Eilrechtsschutz erst dann gewähren, wenn mindestens genauso viel für die Asylberechtigung des Betroffenen sprechen würde wie gegen sie. Dies sei viel zu weitgehend und mit der Verfassung nicht mehr vereinbar. Die Vorschrift müsse demzufolge so ausgelegt werden, daß "ernstliche Zweifel" schon dann zu bejahen seien, wenn eine Fehlentscheidung der Behörde möglich erscheint. |
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Wie auch die Beschränkung des einstweiligen Rechtsschutzes bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat, berge darüber hinaus Absatz 4 die Gefahr einer zusätzlichen gesteigerten Inanspruchnahme des ohnehin überlasteten Bundesverfassungsgerichtes. |
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4. Die Beurteilungen hinsichtlich des Vorbehaltes völkerrechtlicher Verträge Gegen die Vorbehaltsklausel des Abs. V wurde primär vorgebracht, daß sie sich inkonsequenterweise nur auf Zuständigkeitsregelungen beschränke, zur Harmonisierung des materiellen Asylrechts selbst aber nicht autorisiere. Mithin sei abzusehen, daß früher oder später zu diesem Zwecke weitere Verfassungsänderungen folgen werden. |
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VI. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Das Bundesverfassugsgericht fällte am 14. Mai 1996 drei Urteile, in denen es die Verfassungsmäßigkeit des neuen Art. 16a GG bestätigte. Auch die einfachgesetzlichen Regelungen wurden fast vollständig akzeptiert. Die prinzipielle Linie der Entscheidungen wurde einstimmig gebilligt, in vielen Einzelfragen gab es jedoch zum Teil nur knappe Mehrheiten für eine Verfassungsmäßigkeit. Insbesondere die Vorsitzende Jutta Limbach, sowie ihre beiden Kollegen Ernst-Wolfgang Böckenförde und Berthold Sommer (alle drei sind Mitglieder der SPD) hielten gerade die einfachgesetzlichen Regelungen in vielen Details für verfassungswidrig. |
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1. Die Bewertung der Drittstaatenregelung durch das Verfassungsgericht Das Verfassungsgericht stellte zunächst die Wirkung des Art. 16a II GG klar. Mit ihm werde der persönliche Geltungsbereich des Asylgrundrechts beschränkt und zwar - entgegen der Auffassung von F.D.P. und SPD - schon dann, wenn feststehe, daß der Asylsuchende aus irgendeinem sicheren Drittstaat eingereist ist. Hinsichtlich der Bestimmung sicherer Drittstaaten sah das Gericht ein "Konzept der normativen Vergewisserung" als realisiert an. Kraft Verfassung (für die EG-Staaten) oder kraft einfachen Gesetzes (für die anderen sicheren Drittstaaten) werde die Sicherheit für die Flüchtlinge generell festgestellt. Dabei und bei der Wahl der Methoden, mit denen die Entscheidungsgrundlagen gewonnen werden, habe der Gesetzgeber einen Einschätzungsspielraum. Die Folge dieser normativen Vergewisserung sei, daß der Asylsuchende sich nicht gegen eine Abschiebung in den sicheren Drittstaat mit der Begründung, für seinen Einzelfall gelte die Sicherheit ausnahmsweise nicht, wenden kann. Lediglich eine Duldung gemäß § 55 AuslG etwa bei tatsächlicher Unmöglichkeit der Ausweisung könne noch in Frage kommen, nicht jedoch eine Berufung auf andere Abschiebungshindernisse - etwa die §§ 51, 53 AuslG, die von dem Ausschluß durch das Konzept der normativen Vergewisserung erfaßt seien. Nur ausnahmsweise könnten der Betreffende sich auf diese außerasylrechtlichen Hindernisse berufen, wenn nach seinem Vortrag die Ursachen für die Abschiebungshinderung a priori nicht im Wege der normativen Vergewisserung hätten berücksichtigt werden können. Als Beispiele nennt das Verfassungsgericht die Fälle drohender Todesstrafe in dem Drittstaat oder politischer Verfolgung, bzw. unmenschlicher Behandlung durch diesen Drittstaat selbst. Gleiches gelte dann, wenn es offensichtlich wäre, daß der Drittstaat rechtswidrig die GFK und die EMRK mißachten und den Asylsuchenden ohne jede Prüfung des Schutzgesuches weiter zurückschieben werde. An diese Ausnahmen seien jedoch hohe Anforderungen zu stellen, ihre Annahme müßte sich mithin geradezu aufdrängen. Vom Konzept der normativen Vergewisserung noch gedeckt sei der Fall, in dem der "sichere Drittstaat" seinerseits über eine Drittstaatenregelung verfüge und dieser weitere Drittstaat ("Viertstaat") dem Flüchtling über eine lediglich informelle Vereinbarung mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen bis zu dessen Entscheidung über die Flüchtlingseigenschaft ein Bleiberecht und bei ihrer Bejahung ein weiteres befristetes Bleiberecht zur Suche nach einem Aufnahmestaat gewähre. |
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Die pauschale Einschätzung der EG-Staaten als "sichere Drittstaaten" sei als Versuch des Beginnes einer Asylrechtsregelung auf europäischer Ebene zu werten. Werde ein Staat, der bisher nur durch einfachgesetzliche Bestimmung sicherer Drittstaat im Sinne der Art. 16a II GG gewesen war (wie es 1993 noch für Österreich galt) Mitglied der Europäischen Gemeinschaften, so gelte für ihn ausschließlich die "normative Vergewisserung" des verfassungsändernden Gesetzgebers, die einfachgesetzliche Bestimmung werde insoweit gegenstandslos. |
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Eine Einreise aus einem sicheren Drittstaat liege zwar nicht schon bei der bloßen Durchquerung eines solchen Staates vor, allerdings reiche es aus, wenn der Asylsuchende die Möglichkeit gehabt hatte, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen - auch wenn er dafür seine Reise hätte unterbrechen müssen. Der Drittstaat müsse auch nicht letzte Station auf dem Fluchtweg in die Bundesrepublik Deutschland gewesen sein, nach Sinn und Zweck der Regelung reiche es aus, wenn sich der Betreffende irgendwann im Laufe seiner Reise in einem sicheren Drittstaat befunden hat. |
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Hinsichtlich der Begrenzung des einstweiligen Rechtsschutzes folgte das Verfassungsgericht der eingeschlagenen Linie der "normativen Vergewisserung". Von Verfassung wegen sei Behörden und Gerichten verboten, vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung zu gewähren, wobei sich dieses Verbot auch auf Abschiebungshindernisse nach dem Ausländergesetz erstrecke und selbst dann eingreife, wenn das entscheidende Verwaltungsgericht davon ausgehe, daß die Bestimmung des "sicheren Drittstaates" verfassungswidrig gewesen sei und deshalb unter Aussetzung des Verfahrens eine konkrete Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht beantragt hat. Eine Ausnahme sollten auch hierbei die oben erwähnten Sonderfälle bilden, in denen ausnahmsweise vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden könne. |
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Die einfachgesetzliche Regelung des § 34a I AsylVfG wurde vom Bundesverfassungsgericht verfassungskonform dahingehend interpretiert, daß er die nicht ernstlichen Zweifeln ausgesetze Annahme der Einreise des Asylsuchenden aus einem Drittstaat voraussetze. Ebenfalls solle er die oben genannten Ausnahmefälle nicht erfassen. |
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2. Die Bewertung der Regelung über die sicheren Herkunftsstaaten durch das Verfassungsgericht Auch bezüglich der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten billigte das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Dieser sei wiederum nur dann überschritten, wenn die Entscheidung nicht mehr vertretbar sei. Unterschiedlich als bei den sicheren Drittstaaten sei jedoch der Umfang der gesetzlichen Wertung zu bestimmen. Erstrecke sich dort die Einschränkung auf alle Abschiedungshindernisse, so gelte die Nichtverfolgungsvermutung des Art. 16a III GG lediglich für Fälle politischer Verfolgung (einschließlich dem daran anknüpfenden § 51 AuslG). Für möglicherweise drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gelte diese Annahme nicht. |
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Zusätzlich wurde insbesondere die sogenannte "Flughafenregelung" des § 18a AsylVfG überprüft. Prinzipiell wurde die Einhaltung der erforderlichen rechtsstaatlichen Mindeststandards durch das verkürzte Verwaltungsverfahren bejaht. Es käme jedoch im Einzelfall darauf an, daß die Bediensteten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Besonderheiten des Verfahrens (also etwa die sprachlichen Schwierigkeiten, die geistige und körperliche Belastung der Antragsteller und den Zeitdruck) berücksichtigten. Deshalb müsse der Asylsuchende auch die Hilfe eines unabhängigen asylkundigen Beraters in Anspruch nehmen können. Zudem müsse im Flughafenverfahren die Frist für Eilanträge an die Verwaltungsgerichte bei ablehnenden Asylbescheiden auf Verlangen des Betreffenden um vier Tage auf sieben verlängert werden. |
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In einem dem Urteil zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren wurde allerdings dennoch das ablehnende Verwaltungsgerichtsurteil aufgehoben und der Fall zurückverwiesen. Dies stützte das Bundesverfassungsgericht darauf, daß das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers, er sei schon aufgrund des großen öffentlichen Interesses, das sein Fall hervorgerufen hat, von politischer Verfolgung in seinem Herkunftsstaat bedroht, ignoriert und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 I GG verletzt habe. (Da diese Entscheidung aber auf dem Ausnahmecharakter des mit dem Urteil abgeschlossenen Verfassungsgerichtsverfahren beruht, dürfte dies ein einmaliger Vorgang bleiben.) |
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Verwendete Literatur: |
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