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Der Bundespräsident |
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Früher wurde die Politik eines Staates in erster Linie von dessen Staatsoberhaupt, zumeist einem Monarchen, geprägt. Mit der zunehmenden Demokratisierung der Gesellschaft und der Einführung parlamentarischer Systeme mußte dies eine Änderung erfahren. Besonders Deutschland hat hier einige teilweise erhebliche Veränderungen durchgemacht - noch vor 80 Jahren hielt ein Kaiser Hof, heute hat der Präsident als das deutsche Staatsoberhaupt im Vergleich etwa zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika oder zum französischen Staatspräsidenten eine recht geringe politische Bedeutung. Seiner genauen Position im bundesrepublikanischen Staatsgefüge soll sich im folgenden angenähert werden. |
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I. Der Präsident in der Weimarer Reichsverfassung Die Stellung des Bundespräsidenten läßt sich ohne eine Betrachtung derjenigen des Weimarer Reichspräsidenten nicht erklären. Die Verfassungsväter der Weimarer Republik mißtrauten teilweise noch dem parlamentarischen Regierungssystem, bzw. wollten ein vermutetes Bedürfnis der Bevölkerung nach einem "Ersatzkaiser" befriedigen. Aus diesem Grund wurde dem Parlament ein mit umfassenden Befugnissen ausgestatteter Reichspräsident gegenüber gestellt, der als dem Gemeinwohl verpflichtete, die Nation einende Kraft wirken sollte. Die bedeutsamsten Kompetenzen, die die Weimarer Reichsverfassung dem Präsidenten zustand: |
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Die große Problematik dieser weitreichenden Befugnisse ergab sich jedoch erst dadurch, daß der Präsident alle sieben Jahre direkt vom Volk gewählt wurde und somit über eine vom Parlament unabhängige, starke, demokratische Legitimation verfügte. Somit bestand die Gefahr, daß der Präsident der Weimarer Republik zu einem Gegenspieler des Reichstages werden konnte, was aufgrund seiner zahlreichen Kompetenzen letztlich zu einer Art Präsidialdiktatur führen konnte. Und tatsächlich wurden zunehmend Parlamentsbeschlüsse durch den Präsidenten außer Kraft gesetzt (sei es durch Auflösung des Reichstages und Neuwahlen oder über den Weg der Notverordnung) und der Gesetzgeber mit vom Präsidenten inthronisierten Reichskanzlern konfrontiert. Diese tatsächliche Machtverlagerung hin zum Präsidenten begann im übrigen schon bei Friedrich Ebert, dem ersten Präsidenten der Weimarer Republik, der zwischen 1919 und 1924 über 130mal vom Instrument der Notverordnung Gebrauch machte. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler beendete Eberts Amtsnachfolger von Hindenburg dann schließlich 1933 de facto die Ära der demokratischen Weimarer Republik. |
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II. Der Bundespräsident des Grundgesetzes 1. Die Wahl des Bundespräsidenten Für die Wahl des Bundespräsidenten ist ein eigenes Staatsorgan zuständig: die Bundesversammlung, deren einzige Funktion eben diese Aufgabe ist. Sie tritt spätestens dreißig Tage vor Ende der Amtszeit (normalerweise fünf Jahre) des amtierenden Präsidenten zusammen und setzt sich aus den Parlamentariern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Vertretern der Landtage zusammen. Letztere Gruppe wird von den einzelnen Länderparlamenten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt und muß nicht aus Landtagsabgeordneten bestehen. Oftmals werden von den entsprechenden Parteien über diese Gruppe auch Personen des öffentlichen Lebens in die Bundesversammlung geschickt (so in der Vergangenheit etwa der Fußballprofi Pierre Littbarski). Es finden bis zu drei Wahlgänge statt. Um gewählt zu werden, müssen für einen der Bewerber im ersten oder im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung votieren. Kommt es zu einer solchen Mehrheit auch nicht im zweiten Wahlgang, genügt im dritten schließlich die einfache Mehrheit der Stimmen, so daß nach diesem Durchgang in jedem Fall ein Bundespräsident gewählt ist. Das passive Wahlrecht besitzt jeder Deutsche, der wahlberechtigt zum Bundestag ist und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat. Eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. Die bisherigen Präsidentenwahlen verliefen wie folgt: |
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Der gewählte Präsident tritt dann schließlich sein Amt mit Ablegung eines Eides vor den versammelten Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat an.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
-- Art. 56 GG; die Verwendung auch des zweiten Satzes ist freigestellt
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2. Die Stellung des Bundespräsidenten Das Amt des Bundespräsidenten ist mit einer Anzahl von Inkompatibilitäten verbunden. So darf der Präsident weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft - also in der Regel dem Parlament - des Bundes oder eines Bundeslandes angehören. Auch eine Förderung erwerbswirtschaftlicher Zwecke, etwa durch eigene Berufstätigkeit oder durch Angehörigkeit zu einem Aufsichtsrat, ist dem Bundespräsidenten grundgesetzlich untersagt. Davon unberührt bleiben unentgeltliche Schirmherrschaften und ähnliche nichtgewerbliche Aktivitäten. |
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Ist der Bundespräsident an der Ausübung seiner Amtsgeschäfte gehindert, so wird er vom Präsidenten des Bundesrates vertreten. |
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Der Schutz, den Bundestagsabgeordnete vor Strafverfolgung genießen (Immunität), gilt entsprechend auch für die Person des Bundespräsidenten. So er denn nicht auf frischer Tat oder einen Tag nach Begehung einer Straftat festgenommen wird, darf er also nur mit Genehmigung des Bundestages festgenommen oder zur Verantwortung gezogen werden. |
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Da weder der Bundestag noch die Bundesversammlung einen Bundespräsidenten, der erkennbar undemokratisch gesinnt ist und auch dementsprechend handelt, mithin das Funktionieren der Demokratie zu stören versucht, abwählen können, gibt es als ultima ratio das Institut der Präsidentenanklage, um einen solchen Bundespräsidenten, der vorsätzlich das Grundgesetz oder ein anderes Bundesgesetz verletzt hat, durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Amt entfernen. Dazu muß von einem Viertel der Bundestagsmitglieder oder mit einem Viertel der Bundesratsstimmen ein entsprechender Antrag gestellt werden. Die Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht selbst kann dann nur mit Zustimmung einer Zwei-Drittel-Stimmmehrheit in Bundestag oder Bundesrat erhoben werden. Das Gericht entscheidet über das Vorliegen einer Gesetzesverletzung und einen etwaigen Amtsverlust des Bundespräsidenten. |
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3. Die Funktionen des Bundespräsidenten Die Erfahrungen der Weimarer Zeit waren grundlegend für die im Grundgesetz verwirklichte Konzeption eines geschwächten Staatsoberhauptes. In der staatspolitischen Realität der Bundesrepublik hat der Bundespräsident noch nicht besonders oft eine wichtige Rolle gespielt. Wenn dies jedoch der Fall war (wie etwa bei der Weigerung Lübkes 1962, das Gesetz über den Belegschaftshandel auszufertigen oder bei der Auflösung des Bundestages 1983 durch Karl Carstens), dann wurde bei teilweise heftiger öffentlicher Diskussion deutlich, daß die Frage, inwieweit die Kompetenzen des Bundespräsidenten gehen, nach wie vor äußerst kontrovers diskutiert wird. Es kann deshalb hier auch kein umfassender Einblick in alle existierenden Einzelmeinungen, sondern bestenfalls ein kurzer Überblick über die einzelnen Themenbereiche gegeben werden. Generell lassen sich die Aufgaben des Bundespräsidenten in drei Bereiche unterteilen: |
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Dabei sind die Grenzen im Einzelfall nicht immer leicht zu ziehen - repräsentative Aufgaben können auch in den Bereich der Reservefunktion fallen, die Integrationsfunktion entfaltet ihre Wirkung oft im repräsentativen Bereich, etc. |
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a) Die Repräsentationsfunktion Hierunter fallen die staatsrechtlichen Funktionen, durch deren Ausübung der Bundespräsident keine unabhängige politische Funktion erfüllt. Mit am wichtigsten in dieser Kategorie dürfte dabei die völkerrechtliche Vertretung des Bundes sein. Durch Art. 59 I GG wird dem Präsidenten nach fast einhelliger Meinung eine allgemeine Vertretungskompetenz auf Völkerrechtsebene zugewiesen, zumindest aber ein Recht, völkerrechtliche Verträge zu ratifizieren. Diese Regelung soll den Bundespräsidenten jedoch nicht zum eigenmächtigen außenpolitischen Akteur erheben, sondern dient nur der völkerrechtlichen Praxis, die allgemein von einer Vertretungsbefugnis des Staatsoberhauptes ausgeht. Im innerstaatlichen Bereich werden die Richtlinien der Politik - also auch der Außenpolitik - vom Bundeskanzler bestimmt, so daß der Bundespräsident keine Rechte zur Gestaltung einer eigenen Außenpolitik hat. Vielmehr nimmt er lediglich eine repräsentative Stellung ein, die Bevollmächigung von außenpolitisch tätigen Diplomaten muß auf ihn zurückzuführen sein, sofern nicht eine andere völkerrechtlich anerkannte Vertretungskompetenz wie die des Regierungschefs oder des Außenministers vorliegt. |
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Ebenfalls eine repräsentative Funktion übernimmt der Bundespräsident bei der Ernennung (und Entlassung) von Amtsträgern des Bundes. Dies sind neben den Bundesministern (Art. 64 I GG) auch die Richter an den Bundesgerichten, die Bundesbeamten und die Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 I GG), wobei er bei der zweiten Gruppe die Ernennungsbefugnis auf andere Behörden übertragen kann, bzw. per Gesetz eine andere Regelung getroffen werden kann. Auch mit der Ernennung der Amtsträger erfüllt der Bundespräsident nur den Willen anderer Staatsorgane - etwa den des Bundeskanzlers bei der Ernennung der Bundesminister. Eine eigene Entscheidungskompetenz kommt ihm nicht zu, eine Prüfungskompetenz - wenn überhaupt - nur in offensichtlichen Ausnahmefällen, etwa bei Nichtvorliegen der Ernennungsvoraussetzungen. |
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Ebenfalls dem repräsentativen Bereich seiner Aufgaben dürfte die Ordensverleihung zuzuordnen sein, die auch von der Gegenzeichnung durch Bundeskanzler oder zuständigen Bundesminister und damit letztlich von deren politischem Willen abhängt. |
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b) Die Reservefunktion Daß das Amt des Bundespräsidenten auch Spielraum für eigene politische Aktivität und Verantwortung mit sich bringt, wird durch einige Befugnisse deutlich, die im Regelfalle nicht von Bedeutung sind, in Krisensituationen jedoch erhebliche Auswirkungen haben können. Dies beginnt bereits bei der Wahl des Bundeskanzlers. Hier besitzt der Bundespräsident im ersten Wahlgang das Vorschlagsrecht. Das spielt zwar im Normalfall keine Rolle, da im zweiten Wahlgang der Bundestag selbst den zu wählenden Kandidaten bestimmen kann und somit der Bundespräsident in der Praxis seinen Vorschlag an den zu erwartenden Mehrheitsverhältnissen ausrichtet. Bei politisch instabiler Zusammensetzung des Bundestages kann jedoch auch hier bereits der Vorschlag des Bundespräsidenten zumindest hinsichtlich einer politischen Richtungsweisung schon eine wichtige Entscheidung sein. |
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Ihre eigentliche Bedeutung entfaltet die präsidentielle Reservefunktion bei der Kanzlerwahl jedoch erst, wenn die Wahl bis zum dritten Wahlgang andauert und auch dort kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen der Bundestagsmitglieder auf sich vereinigen konnte. In einer solchen Situation liegt es einzig beim Bundespräsidenten, ob er den Kandidaten mit der einfachen Mehrheit zum Bundeskanzler ernennen will oder ob er den Bundestag auflöst und somit Neuwahlen, von denen er sich vielleicht klarere Mehrheitsverhältnisse verspricht, anordnet. |
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Eine ähnlich richtungsweisende Entscheidung kann der Bundespräsident im Falle einer gescheiterten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers auf dessen Vorschlag hin treffen (Art. 68 GG), sofern nicht der Bundestag vorher selbst einen neuen Kanzler gewählt hat. Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, das Parlament solle ihm das Vertrauen aussprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsmitglieder, so ist die Vertrauensfrage als gescheitert anzusehen. Im Gegensatz zum dritten Kanzlerwahlgang ohne absolute Mehrheit ist diese Konstellation auch bereits in der politischen Realität eingetreten. Zum einen 1972, als einerseits die sozialliberale Koalition durch den Parteiwechsel einiger F.D.P.-Abgeordneter keine absolute Mehrheit mehr besaß, andererseits aber ein konstruktives Mißtrauensvotum der CDU gescheitert war, und deshalb die Regierung Brandt die Vertrauensfrage stellte und dabei selbst die Niederlage herbeiführte, indem sich die Regierungsmitglieder nicht an der Abstimmung beteiligten. Zum anderen 1982/83, als der durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gewählte Bundeskanzler Kohl dem Parlament die Vertrauensfrage stellte und sich die Abgeordneten von CDU/CSU und F.D.P. der Stimmen enthielten und so ebenfalls die Niederlage künstlich herbeigeführt wurde. In beiden Fällen folgte der Bundespräsident dem Vorschlag des Bundeskanzlers und löste den Bundestag auf, wobei besonders in letzterem Fall heftig umstritten war, ob das Vorliegen einer solchen "formellen Auflösungslage" genügt oder ob nicht auch eine "materielle Auflösungslage" hinzutreten, also tatsächlich instabile Mehrheitsverhältnisse vorliegen müssen. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das sich für das Erfordernis einer "materiellen Auflösungslage" aussprach, konnte die Streitfrage nicht abschließend klären. |
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Eng mit der Vertrauensfrage verknüpft ist auch eine weitere Reservefunktion des Bundespräsidenten - die Kompetenz zur Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes. Dieser ist stets mit einer konkreten Gesetzesvorlage verbunden, die der Bundestag nach gescheiterter Vertrauensfrage abgelehnt hat, und kann vom Bundespräsidenten nur auf Antrag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates erklärt werden und auch nur dann, wenn er den Bundestag nicht aufgelöst hat. Kommt auch danach die Gesetzesvorlage nicht in für die Regierung akzeptabler Form durch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren, dann gilt das Gesetz dennoch als zustande gekommen, sofern ihm der Bundesrat zustimmt. Der Gesetzgebungsnotstand gilt dann insgesamt für eine Dauer von sechs Monaten fort, so daß in dieser Zeitperiode auch weitere Gesetzesvorlagen am Bundestag vorbei verabschiedet werden können. Nach Ablauf der Frist ist während der Amtszeit des betreffenden Bundeskanzlers keine erneute Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes zulässig. Um den Folgen des Gesetzgebungsnotstandes eine äußerste Grenze zu setzen, können Gesetze, die nach dem oben skizzierten Verfahren zustande gekommen sind, das Grundgesetz nicht ändern oder außer Kraft setzen. In der Praxis ist der Gesetzgebungsnotstand - als ultima ratio in politisch extrem instabilen Zeiten - noch nicht von Bedeutung gewesen. |
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Ebenfalls den Reservefunktionen dürfte die Ausfertigung von Bundesgesetzen durch den Bundespräsidenten zuzuordnen sein. Im Gesetzgebungsverfahren kommt dem Präsidenten nach Art. 82 I GG die Befugnis zur Ausfertigung, d.h. zur Herstellung der Urschrift des Gesetzes (durch Unterschrift) zu. Sie ist nach Gegenzeichnung durch die Bundesregierung bei "nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen" Gesetzen vorzunehmen. Hierbei hat der Bundespräsident auf jeden Fall das Recht, die Ausfertigung zu verweigern und somit die Entstehung des Gesetzes zu verhindern, wenn die formellen Voraussetzungen zum Zustandekommen des Gesetzes nicht gegeben sind, d.h. beispielsweise der Bundesgesetzgeber nicht die Gesetzgebungskompetenz besaß oder der Bundesrat nicht ordnungsgemäß beteiligt wurde. Äußerst umstritten ist die Frage, ob der Bundespräsident über diese Kontrolle der Einhaltung der verfassungsrechtlichen "Spielregeln" hinaus eine materielle Kontrolle des Gesetzes vornehmen darf, also auch aufgrund eines vermuteten inhaltlichen Verstoßes gegen Verfassungsrecht die Ausfertigung verweigern darf. Die wichtigsten Argumente für ein solches Verweigerungsrecht bei materiellen Mängeln dürften die Überlegung, daß ein undemokratisch gesinnter Gesetzgeber ansonsten eventuell aufgrund der erst später erfolgenden verfassungsgerichtlichen Kontrolle nicht wieder gutzumachende Schäden anrichten könnte, und der Gedanke, daß der Bundespräsident nicht gezwungen sein kann, verfassungswidrigen Gesetzen "sehenden Auges" zur Erlangung der Rechtskraft zu verhelfen, sein. Bedeutendste Argumente für die andere Ansicht dürften der Verweis auf die materielle Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes, welches einzig zur Erklärung der Verfassungswidrigkeit befugt sei, und der Gedanke, daß bei Annahme einer materiellen Prüfungskompetenz des Präsidenten das Gleichgewicht der politischen Macht näher als im anderen Falle beim - nicht direkt demokratisch legitimierten - Bundespräsidenten liegen würde. In der Staatspraxis haben verschiedene Präsidenten (etwa Lübke beim Gesetz über den Belegschaftshandel oder von Weizsäcker beim Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung) erfolgreich ein materielles Prüfungsrecht für sich in Anspruch genommen. Jedenfalls scheint hier die Möglichkeit für den Bundespräsidenten zu bestehen, beim völligen Versagen des Gesetzgebungsverfahrens das Zustandekommen evident verfassungswidriger Gesetze zu verhindern. |
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c) Die Integrationsfunktion Hierunter fällt vor allem der rechtlich nicht normierte Bereich der Reden und öffentlichen Ansprachen, in denen der Bundespräsident zumeist grundlegende politische und moralische Überlegungen anstellen kann, ohne selbst in der Realpolitik für die Verwirklichung seiner im Ergebnis oftmals populären Forderungen einstehen zu müssen. Aufgrund dieser öffentlichkeitswirksamen Position stieg bisher in der Regel die Akzeptanz des Bundespräsidenten während seiner Amtszeit stark an, was sich auch den guten Wahlergebnissen zur zweiten Amtszeit entnehmen läßt und was in der Bevölkerung zu parteiübergreifender Zustimmung zur Person des Bundespräsidenten führt. Andererseits besteht für den Präsidenten auch stets die Gefahr, sich zu sehr in die Tagespolitik einzumischen und somit den Konsens über seine Person und die Politik der Bundesregierung zu gefährden. Aus diesem Grund und wegen der unbestreitbar meinungsbildenden Wirkung seiner Reden wird vielfach gefordert, daß sämtliche nicht privaten Handlungen des Bundespräsidenten nur nach Gegenzeichnung der Bundesregierung erfolgen dürften. Damit wäre der Bundespräsidenten in letzter Konsequenz jedoch nur ein besserer Regierungssprecher, eine Rolle, auf die sich bisher noch kein Bundespräsident hat beschränken lassen. |
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Traditionell einem Staatsoberhaupt zufallend, weist eine weitere Kompetenz doch auch noch Züge auf, die eine Zuordnung in die Kategorie der Integrationsfunktion des Bundespräsidenten erlauben dürften: das Begnadigungsrecht nach Art. 60 II und III GG. Es erlaubt dem Präsidenten, in Einzelfällen von der Bundesgerichtsbarkeit strafrechtlich Verurteilte, mit Ordnungsmaßnahmen oder disziplinarrechtlich Belangte zu begnadigen. Diese Befugnis kann er auf andere Behörden übertragen, was in der Praxis auch - für bestimmte Fälle etwa auf die Ressortminister - geschehen ist. In diesem Bereich artikuliert der Bundespräsident nicht fremden Willen und übt auch keine Reservefunktion in Ausnahmesituationen aus. Vielmehr kann er mit der Begnadigung im Einzelfall den Anspruch des Staats auf Durchsetzung der öffentlichen Ordnung mindern, mithin dem betroffenen Bürger die "Hand reichen". |
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Verwendete Literatur: |
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